Bettina Klein - 2000

Bettina Klein (curator) on "Life is Bad", Installation art
by Sebastian Bieniek (B1EN1EK), 2000


Text by Bettina Klein, the curator of the "Passagen/ Aux voyageurs" exhibition:

(English translation from original German)


One of the key scenes of many crime novels - or does the "prison film" even have its own genre? - plays at the entrance of a prison. Sometimes this place is the parenthesis of the entire narrative. In any case, it is a highly emotionally charged place, full of fate, the place where, when stepping out of the gate, all perspectives are open, the possibility of a new beginning after years of inevitable seclusion.


So much for the cinematic ideal, an idea that Sebastian Bieniek takes up with his work "Le monde est cruel / The world is bad" in the form of an ideal-typical landscape panorama from computer-processed calendar photos. At the entrances to the Prison des Femmes in Rennes and the JVA Celle, both architecturally very similar and located in the immediate vicinity of the local main train station, a city within the city, he has each placed a poster over seven meters long.

A trip is advertised, by train, as it is so obvious, even the departure times are indicated and photographs of the transfer stations, claustrophobic little worlds with the train door windows as a passport, prove the real possibility of this trip.


However, the destination of the trip is by no means the blooming landscape promised on the poster, but, seen from Celle, the women's prison in Rennes, from Rennes the JVA Celle.


Of the many possible travel impressions, only tiny excerpts are shown on the poster, not unlike the view from the prison window. And the timetable, which is determined to the minute, is more reminiscent of the regulated daily routine in prison than that it evokes great freedom.


So a cynical endless loop, a fictional escape route, marketed by the internationally used escape sign males, which offers no opportunity to leave the system, because, according to Bieniek, "The world is bad / Le monde est cruel" and an inkling of freedom can ultimately only to be found in the projection.


(see: defined conquered space, mapped world, "shrinking of the planet" (Rice, p.193)


As in some earlier works, Bieniek divides lived or even imagined time into measurable units and tries to make it visible by creating a system. For example, when he spent two days and nights in the Charité Museum in Berlin inflating balloons and recording minutes and seconds ("Hier Ruht Mein Atem, Sebastian Bieniek, 1998) or when he was in a wooden pillar with a recess for his arm, had a cut made after two hours and then haired in it for another two hours ("Hand Without A Body", Sebastian Bieniek, 1999).


This is by no means a belated form of Viennese actionism, but rather an experimental arrangement, the sober experimentation with the limits of the physical.


In his current work, Bieniek connects two places that happen to have something in common. The choice of locations could also have turned out completely different, less pathetic, because the connection to which he refers, the route network of the European railways, could be used for any pair of locations.


As in the earlier works, the pathos of the choice of location and the staging is only apparently superficial. Bieniek plays with the idea of ​​pathos, but at the same time negates it through the strictly defined framework in which his works take place. Ultimately, it is always about the difference between conceptual and lived experience.


by Bettina Klein (2001, curator) (from the catalog of "Passagen / Aux voyageurs")

(The original german text version)


Die Welt ist schlecht/Le monde et cruel" (2001)



(Text von Bettina Klein, der Kuratorin der Ausstellung)
 
Eine der Schlüsselszenen vieler Krimis - oder existiert sogar ein eigenes Genre des "Gefängnisfilms"? - spielt am Eingangstor eines Gefängnisses. Manchmal bildet dieser Ort die Klammer der gesamten Erzählung. In jedem Fall ist es ein hochgradig emotional aufgeladener Ort, schicksalsträchtig, der Ort an dem, beim Heraustreten aus dem Tor, alle Perspektiven offenstehen, die Möglichkeit eines neuen Anfangs, nach Jahren zwangsläufiger Zurückgezogenheit.
 
Soweit das filmische Ideal, eine Idee die Sebastian Bieniek mit seiner Arbeit "Le monde est cruel / Die Welt ist schlecht" in Form eines idealtypischen Landschaftspanoramas aus computerbearbeiteten Kalenderfotos aufgreift. An den Eingängen der Prison des Femmes in Rennes und der JVA Celle, beide architektonisch sehr ähnlich und in unmittelbarer Nähe der örtlichen Hauptbahnhöfe gelegen, eine Stadt in der Stadt, hat er jeweils ein über sieben Meter langes Plakat angebracht.


ine Reise wird beworben, per Zug, da so naheliegend, selbst die Abfahrzeiten sind indiziert und Fotografien der Umsteigestationen, klaustrophobe kleine Welten mit den Zugtürfenstern als Passpartout, belegen die reale Möglichkeit dieser Reise.


 Allerdings ist das Ziel der Reise keineswegs die auf dem Plakat versprochene blühende Landschaft, sondern, von Celle aus gesehen, das Frauengefängnis von Rennes, von Rennes aus die JVA Celle.


 Von den vielen möglichen Reiseeindrücken werden auf dem Plakat nur winzige Ausschnitte gezeigt, dem Blick aus dem Gefängnisfenster nicht unähnlich. Und auch der auf die Minute determinierte Fahrplan erinnert eher an den reglementierten Tagesablauf im Gefängnis, als daß er die große Freiheit evozierte.

Also eine zynische Endlosschleife, ein fiktiver Fluchtweg, maktiert durch die international verwendeten Fluchtzeichen- Männchen, der keine Möglichkeit bietet, das System zu verlassen, denn, so Bieniek, "Die Welt ist schlecht / Le monde est cruel" und eine Ahnung von Freiheit kann letztlich nur in der Projektion gefunden werden.


(siehe: definierter eroberter Raum, kartographierte Welt, "shrinking of the planet" (Rice, S.193)


Wie schon in einigen früheren Arbeiten, teilt Bieniek die gelebte oder auch nur die imaginierte Zeit in messbare Einheiten, versucht sie sichtbar zu machen, indem er ein System anlegt. So zum Beispiel als er im Museum der Charité in Berlin zwei Tage und Nächte damit verbrachte, Ballons aufzublasen und jeweils Minute und Sekunde daruaf verzeichnete ("Hier Ruht Mein Atem, Sebastian Bieniek, 1998) oder als er während einer Gruppenausstellung täglich ab 14 Uhr in einer Holzsäule mit Aussparung für seinen Arm stand, nach zwei Stunden einen Schnitt vornehmen ließ und dann weitere zwei Stunden darin verhaarte ("Hand Without A Body", Sebastian Bieniek, 1999).
 
Hierbei handelt es sich keinesfalls um eine verspätete Form von Wiener Aktionismus, sondern es ist eine Versuchsanordnung, das nüchterne Experimentieren mit den Grenzen des Körperlichen.

 

Bieniek verbindet in seiner aktuellen Arbeit zwei Orte miteinander, die eine zufällige Gemeinsamkeit haben. Die Wahl der Orte könnte auch ganz anders ausgefallen sein, weniger pathetisch, denn die Verbindung auf die er sich bezieht, das Streckennetz der europäischen Eisenbahnen, könnte für jedes beliebige Ortspaar geltend gemacht werden.


Wie in den früheren Arbeiten ist das Pathos der Ortswahl, der Inszenierung nur scheinbar vordergründig. Bieniek spielt mit der Idee von Pathos, negiert es aber zugleich durch den streng abgesteckten Rahmen in dem seine Arbeiten sich abspielen. Letztlich geht es immer wieder um die Differenz zwischen konzeptueller und gelebter Erfahrung.



von Bettina Klein (2001, Kuratorin)
(aus dem Katalog von "Passagen/ Aux voyageurs")

Share by: